Röm 7,4-6 Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, damit ihr einem anderen zu eigen seid, nämlich dem, der aus den Toten auferweckt worden ist, damit wir Gott Frucht bringen. Denn als wir im Fleisch waren, da wirkten in unseren Gliedern die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz sind, um dem Tod Frucht zu bringen. Jetzt aber sind wir vom Gesetz frei geworden, da wir dem gestorben sind, worin wir festgehalten wurden, sodass wir im neuen Wesen des Geistes dienen und nicht im alten Wesen des Buchstabens. [SLT]
Wieder einmal bahnbrechende Worte, leider aber auch – mal wieder – sehr leicht missverständliche (2Petr 3,16).
Wie können wir hier Paulus seine Worte besser verstehen?
Wie so häufig: Indem wir Verse nicht isoliert betrachten, sondern uns den Gesamtzusammenhang ansehen. Also sollten wir, um das Geschriebene besser zu erfassen, mindestens beim Anfang des Kapitels beginnen – besser wäre beim Anfang des Briefes, noch besser beim Anfang der Bibel.
Aus zeitlichen Gründen beginnen wir natürlich nur beim Anfang des Kapitels, wo wir ein sehr wichtiges Detail erfahren können, nämlich zu wem Paulus die Verse aus Röm 7,4-6 schreibt:
Röm 7,1 Oder wisst ihr nicht, Brüder — denn ich rede ja mit Gesetzeskundigen —, dass das Gesetz so lange über den Menschen herrscht, wie er lebt? [SLT]
Auch wenn wir natürlich durch alle Worte der Heiligen Schrift in der Wahrheit gelehrt, der Sünde überführt und auf den richtigen Weg gebracht werden, um Werke zu tun, die Gott wohlgefällig sind (2Tim 3,16-17), kann man ganz neutral und direkt eines sagen: Kaum jemand in der breiten Christenheit ist ein Gesetzeskundiger. “NT”-kundige gibt es sicherlich, aber Gesetzeskundige wohl eher weniger.
Daher besteht – ganz nüchtern und sachlich betrachtet (ohne das Bibelwissen irgendeiner Person anzugreifen) – die Gefahr, dass man nicht ganz verstehen könnte, was hier zum Ausdruck gebracht werden soll, da man selbst sehr wahrscheinlich eben keiner dieser Gesetzeskundigen ist.
Sind wir das? Sicherlich nicht wie die Menschen damals, aber wir können zumindest sagen, dass wir das Gesetz sehr ernst nehmen, darin lesen, forschen und darüber sinnen (Ps 1,2). Wir sehen es wie Paulus:
Röm 7,22 In meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes. [ZB]
Nach seiner Feststellung im ersten Vers (dass er zu Gesetzeskundigen redet) fährt er nun fort und stellt eine Analogie (Ähnlichkeit) zwischen zwei Dingen her – im entfernten Sinne vergleichbar mit dem, wie es unser Herr in seinen Gleichnissen tat:
Röm 7,2-3 Denn die verheiratete Frau ist durchs Gesetz an ihren Mann gebunden, solange er lebt; wenn aber der Mann stirbt, so ist sie von dem Gesetz des Mannes befreit. So wird sie nun bei Lebzeiten des Mannes eine Ehebrecherin genannt, wenn sie einem anderen Mann zu eigen wird; stirbt aber der Mann, so ist sie vom Gesetz frei, sodass sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie einem anderen Mann zu eigen wird. [SLT]
Man könnte nun viel schreiben, aber vielleicht bringt schon ein “Schritt für Schritt”-Durchgehen dieses Gleichnisses von Paulus Klarheit:
1. Die in Röm 7,2-3 erwähnte Frau ist mit einem Mann verheiratet.
Dazu gleich eine Frage: Gilt in dieser Ehe – nach dem Gesetz Gottes – das Verbot des Ehebruchs? Natürlich tut es das. Da ist man sich sicherlich einig.
2. Nun sagt der Text, dass der Ehemann der Frau stirbt und sie “frei vom Gesetz geworden ist“, sodass sie jetzt – ohne die Ehe zu brechen – einem anderen Mann zu eigen werden kann.
Erneut eine Frage: Gilt in dieser neuen Ehe – nach dem Gesetz Gottes – noch das Verbot des Ehebruchs? Oder ist die Frau jetzt, weil sie “frei vom Gesetz geworden ist“, auch von diesem einen und allen anderen Geboten des Gesetzes frei geworden?
Wir denken, dass kaum jemand diese Frage mit “ja” beantworten kann und somit behauptet, dass die Frau nun nach der Scheidung Ehebruch nach Belieben treiben kann, weil sie vermeintlich “frei vom Gesetz geworden ist“. Das wäre absurd.
Aber wovon ist die Frau denn dann frei geworden? Der Text scheint doch, eindeutig zu sagen: frei von Gesetz.
Wenn man aufmerksam liest, fällt einem vielleicht die abweichende Formulierung auf, die aber das Gleiche meint:
- so ist sie von dem Gesetz des Mannes befreit.
- so ist sie vom Gesetz frei…
Da ja Paulus zu Gesetzeskundigen spricht, weiß er, dass die Gesetzeskundigen schon wissen, was er mit seinen Formulierungen meint – nämlich:
- dass die verheiratete Frau durchs Gesetz Gottes an ihren Mann gebunden ist, solange er lebt und
- wenn der Mann stirbt, sie so – wieder durch die Bestimmung Gottes in seinem Gesetz – frei ist.
- Sie kann nun wieder die Frau eines anderen Mannes werden, ohne dabei eine Ehebrecherin zu sein.
- In dieser neuen Ehe ist sie selbstverständlich wieder – durch das selbe Gesetz Gottes und seine Anordnungen bzgl. der Ehe – an den Mann gebunden.
Die Gesetzeskundigen verstanden das und würden nicht auf die Idee kommen, dass Paulus durch dieses Beispiel das Gesetz Gottes abschafft; aber für andere Leser bzw. Zuhörer – die keine Gesetzeskundigen sind – bestand diese Gefahr. Und Paulus war sich dieser Gefahr bewusst.
Daher bringt er, v.a. in diesem Kapitel, immer und immer wieder Aussagen wie folgende:
Röm 7,7 Was wollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! …
Röm 7,12-13 So ist nun das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut. Hat nun das Gute mir den Tod gebracht? Das sei ferne! …
Röm 7,22 Denn ich habe Lust an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen;
Röm 7,25 So diene ich selbst nun mit der Gesinnung dem Gesetz Gottes… [SLT]
und dergleichen…
Durch diese eindeutigen Klarstellungen und rhetorischen Fragen hofft er, dass er nicht missverstanden wird. Denn es kursierten (damals wie heute) Gerüchte darüber, dass er gegen das Gesetz lehrt:
Apg 21,24 … Dann werden alle sehen, dass an den Gerüchten über dich (Paulus) nichts Wahres ist und du gewissenhaft das Gesetz befolgst. [HFA]
Anhand diesem und anderer eindeutiger Verse über Paulus stellt sich die Frage, die wir schon im Artikel über den “leicht missverständlichen Paulus” gestellt hatten: Befolgte nur er selbst das Gesetz gewissenhaft, lehrte aber den sog. Heiden (bzw. Nationen) einen Glauben ohne Gesetz?