Trennung

Das kleine unbändige Übel

Jak 3,5-10 So ist die Zunge ein kleines Glied und rühmt sich doch großer Dinge. Siehe, ein kleines Feuer — welch großen Wald zündet es an! Und die Zunge ist ein Feuer, eine Welt der Ungerechtigkeit. So nimmt die Zunge ihren Platz ein unter unseren Gliedern; sie befleckt den ganzen Leib und steckt den Umkreis des Lebens in Brand und wird selbst von der Hölle in Brand gesteckt. Denn jede Art der wilden Tiere und Vögel, der Reptilien und Meerestiere wird bezwungen und ist bezwungen worden von der menschlichen Natur; die Zunge aber kann kein Mensch bezwingen, das unbändige Übel voll tödlichen Giftes! Mit ihr loben wir Gott, den Vater, und mit ihr verfluchen wir die Menschen, die nach dem Bild Gottes gemacht sind; aus ein und demselben Mund geht Loben und Fluchen hervor. Das soll nicht so sein, meine Brüder!

Vielleicht ist jemand bei den Bildern, die hier Jakobus bringt, aufgefallen, dass sie Gemeinsamkeiten mit dem haben, was wir uns zu Beginn angesehen hatten: Denn auch hier wird von einem Übel gesprochen, das um sich greifen, sich entzünden, den Leib beflecken, unkontrolliert wuchern und sich ausbreiten kann. Also nahezu identische Beschreibungen wie beim Aussatz. Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass der erste Vorfall, wo uns der Aussatz “in der Praxis” begegnet, die Situation mit Mirjam und Aaron und ihrem Gerede über Mose und seine Frau ist.

Aus diesen und anderen Gründen, die wir in den vergangenen Teilen hatten, ist es nicht das erste Mal, dass wir im Laufe dieser Serie auf die Gefahr unserer Zunge zu sprechen kommen. Das Wiedererscheinen der Zunge ist quasi unvermeidlich, denn in jeder Gemeinde spielt die Zunge eine ganz zentrale Rolle. Aus ihr kann – ganz so wie es die Stelle hier sagt – Segen, aber eben auch Fluch kommen.

Kommt aus ihr Gutes hervor,
blankdann wird das Gemeindeleben gesund,
kommt aus ihr Böses hervor,
dann wird es meist sehr ungesund.

Und im Zusammenhang der Gemeindezucht ist die Gefahr (dass es ungesund für eine Gemeinschaft werden kann, wenn man dieses unbändige Übel, das den Umkreis des Lebens in Brand steckt, nicht kontrolliert) um ein Vielfaches größer.

Warum ist das so?

Das wollen wir uns jetzt anhand von sechs Punkten etwas genauer anschauen. Das Ziel dabei wird sein, auffällige Verhaltensmuster besser einzuordnen. Denn bei einer Gemeindezucht kann das “Aufgewühltsein” der ausgeschlossenen Person zu ganz bestimmten Handlungen führen, die sich immer wieder wiederholen.

Die gleich folgenden Punkte sollen also einem dabei helfen, das, was bei einer Gemeindezucht passieren kann, als “Außenstehender” (also als jemand aus der Gemeinschaft, der die Gemeindezucht mitbekommt, aber selbst davon nicht betroffen ist) besser einzuordnen. Denn es kann hin und wieder dazu kommen, dass man sich irgendwie unsicher fühlt und sich wie “zwischen den Stühlen stehend” versteht. Damit das nicht passiert, kann eben das Erkennen von auffälligen Verhaltensmustern hilfreich sein.
Natürlich können die gleich folgenden Punkte auch einer ausgeschlossenen Person dabei helfen, sich an ihnen zu prüfen und während des gesamten Verlaufs sich selbst besser zu erkennen.

Die Frage, die die ersten Hinweise liefern kann, ist eine ganz grundsätzliche:

1. Ist die ausgeschlossene Person im Umgang mit der Situation rational oder eher emotional?

Das heißt, ist sie nüchtern oder eher hitzig? Redet sie in Vernunft über den eigentlichen Ausschluss oder eher in Emotionen über andere Dinge? 

Diese und ähnliche Fragen allein geben natürlich keinen zwingenden Aufschluss. Denn sowohl ein zu Recht als auch ein zu Unrecht Ausgeschlossener kann emotional reagieren. Dennoch ist es hilfreich, diese Frage sich vor Augen zu führen und die Situation daran zu reflektieren.

2. Redet die Person über die eigenen Fehler oder eher über die Fehler der anderen?

Die Fehler anderer können diejenigen involvierter Personen oder insbesondere die der Ältestenschaft sein. Auch hier gilt: Das allein gibt keinen Aufschluss, denn durchaus kann es sein, dass andere Fehler gemacht haben und die Person selbst tatsächlich unschuldig ist. 

Aber auch hier wäre dann die Frage: Wie verteidigt die Person die eigene Unschuld? Insbesondere gegenüber der Ältestenschaft? Tut sie das vernünftig und Gott wohlgefällig oder eher emotional rebellisch?

Hierbei kann das Beispiel aus dem letzten Teil mit David und Saul als Vergleich für eine Gott wohlgefällige Vorgehensweise hilfreich sein. Denn David war unschuldig und ihm wurde seitens Saul Unrecht angetan, aber er wagte es dennoch nicht, etwas gegen den von Gott Eingesetzten zu unternehmen:

1Sam 24,7 David sprach zu seinen Männern: Der HERR lasse es fern von mir sein, dass ich so etwas an meinem Herrn, dem Gesalbten des HERRN, tun sollte, meine Hand gegen ihn auszustrecken; denn er ist der Gesalbte des HERRN.

3. Verfahrensfehler

Ein Verfahrensfehler ist ein juristischer Begriff, der im Grunde das beschreibt, was man vielleicht schon einmal in Gerichtsfilmen gesehen hat: Ein Anwalt bekommt einen zurecht Schuldigen frei, weil die Polizei zum Beispiel während der Beweisaufnahme, dem Papierkram oder der Festnahme des Kriminellen irgendeinen kleinen Fehler begangen hat. Dieser kleine Fehler wird dann vom Anwalt genutzt, um eine Straffreiheit zu erwirken.

Inwiefern hat das mit unserem Thema zu tun?

Was bei einem Verfahrensfehler im Kern passiert, ist ja, dass von der Schuld der betroffenen Person abgelenkt wird und der Fehler anderer ausschlaggebend für das Urteil wird. Es geht dann nicht mehr um das, was der Schuldige getan hat, sondern es geht um den Fehler der anderen.

Übertragen auf unsere Betrachtung hier bedeutet das:
Der Ausgeschlossene beschäftigt sich nicht mit der eigenen Schuld, sondern weist auf die Fehler anderer, insbesondere oft auf die der Ältestenschaft hin. Wichtig ist auch hier: Durchaus können die Ältesten einen Fehler gemacht haben. Erst recht im Zusammenhang dessen, was wir im letzten Teil hatten, dass nämlich auch sie aus der Verwirrung aufgeweckt wurden und die Wege Gottes erst einmal lernen müssen. So auch die Vorgänge bei einer Gemeindezucht.

Die Frage in diesem Fall ist aber nicht, woraus der eine oder andere befreit wurde, sondern der Kern des gesamten Vorgangs ist, warum die Person vors Lager gebracht wurde. Ist diese Maßnahme berechtigt oder nicht? Hat die Person gesündigt oder nicht? Oder eben wie es bei einem Gerichtsfall ist: Hat die Person diese oder jene gesetzeswidrige Handlung begangen oder nicht?

Denn nur darum geht es. Es geht um das Fehlverhalten bzw. eben die Sünde der Person! Nicht um irgendwelche Verfahrensfehler anderer!

Dieser Punkt kommt besonders häufig vor. Warum das so ist, werden wir uns gleich im nächsten Block noch genauer ansehen.

4. Neubewertung vergangener Ereignisse

Mit diesem Punkt sind Gedanken und Aussagen gemeint, die in die Richtung gehen, dass in der Vergangenheit liegende Handlungen (hier erneut hauptsächlich die der Ältestenschaft) neu ins Rampenlicht gerückt und rückwirkend als besonders dramatisch bewertet werden. So auf die Art: “Kannst du dich noch an dieses oder jenes erinnern, was damals gemacht wurde? Jetzt ergibt das alles viel mehr Sinn.”
Diese Art Gedanken können so weit gehen, dass Älteste, die man als von Gott eingesetzt anerkannt hatte, es nun auf einmal nicht mehr sind.

Auch hier gilt erneut: Durchaus kann es sein (wie auch im letzten Teil ausführlicher behandelt), dass die erste Einschätzung falsch war, d.h. die Ältestenschaft tatsächlich nicht von Gott eingesetzt war, obwohl man das meinte. Sollte das der Fall sein, kann so ein Ausschluss einem die Augen gegenüber der Ältestenschaft öffnen. Es kann aber auch sein, dass die Ältesten durchaus von Gott eingesetzt sind, aber der Ausschluss einem die klare Sicht auf diese Tatsache verzerrt.

Beide Szenarien sind möglich.

5. Verbündete suchen

Die Summe der zuvor genannten Punkte kann dazu führen, dass die ausgeschlossene Person bewusst oder unbewusst nach Gleichgesinnten und Verbündeten für die eigene Sache sucht. Die Suche und die dabei stattfindenden Gespräche können langsam herantastend oder sehr direkt sein. Das hängt von der Person, ihrer emotionalen Verfassung und der Beziehung zu dem Gesprächspartner ab. Und natürlich auch davon, wie der jeweilige Gesprächspartner auf das “hinter dem Rücken reden” reagiert. Schenkt man dem/der Ausgeschlossenen ein offenes Ohr, weil man vielleicht selbst mit der einen oder anderen Sache bzgl. der Ältestenschaft ein Problem hat, kommen die Gespräche schnell zum Punkt, d.h. schnell zu den Fehlern anderer. Schenkt der Bruder oder die Schwester dem/der Ausgeschlossenen aber kein Gehör, wird sie wahrscheinlich nicht noch einmal ein derartiges Gespräch mit demselben Bruder oder derselben Schwester führen wollen.

6. Sekte

Sollte die ausgeschlossene bzw. eben vors Lager gebrachte Person keine Gleichgesinnten finden können, kann es zu irgendeinem Zeitpunkt zu der Anklage kommen, dass die Gemeinschaft sowieso eine Sekte sei.

Zu diesen sechs Punkten könnte jetzt jemand sagen: “Aber wie soll ich das alles prüfen, wenn ich keinen Kontakt zu der ausgeschlossenen Person haben darf?”

Dieser Einwand ist natürlich berechtigt, denn würde man nach den Vorgaben der Heiligen Schrift gehen, dürfte man ja keinen Kontakt mit der Person haben. Nun ist es aber so, dass die Realität leider anders aussieht. Und weil dem so ist, kann so eine Liste eben hilfreich sein. Sie kann auch, wie eingangs erwähnt, für die betroffene Person selbst hilfreich sein, um sich an diesen und ähnlichen Punkten zu prüfen und selbst zu erkennen. Denn auch hier, bei der Gemeindezucht, ist erneut die Selbsterkenntnis enorm wichtig!

Man könnte im Zusammenhang der in dieser Serie oft wiederkehrenden Punkte auch sagen: Sowohl die Zunge und die Selbsterkenntnis als auch die Ordnung und die Liebe sind gemeinsam so etwas wie die vier Grundpfeiler einer gesunden Gemeinschaft. Das heißt:

blankblankNehmen alle Geschwister in der Kontrolle der eigenen Zunge, der Selbsterkenntnis, der Ordnung und der Liebe zu, dann wird das Gemeindeleben immer gesünder und gesünder
und wir kommen so dem “eins sein” immer näher!
Mangelt es aber an der Kontrolle der Zunge, der Selbsterkenntnis,
der Ordnung und der Liebe geschieht leider genau das Gegenteil.

Da man sich manchmal Zusammenhänge leichter und anhaltender merken kann, wenn man ein Bild vor Augen hat, haben wir eine Art Symbol für das gesunde Gemeindeleben und dem damit verbundenen “eins sein” gemacht, das euch als kleine Merkhilfe nützlich sein kann:

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Abschließend für diesen Block und ganz generell gilt es bei der Gefahr der Zunge im Zusammenhang mit der Gemeindezucht und der Weisung des Aussatzes zu verstehen:
Sofern ein Bruder oder eine Schwester während der Zeit vor dem Lager, sich nicht mit sich selbst und den begangenen Fehlern beschäftigt und schlussendlich keine Einsicht zeigt und keine Buße tut, er oder sie akut in einem Kampf zwischen Fleisch und Geist steht, bei der die Fleisch-Seite (v.a. durch den Selbstbetrug) die Oberhand hat.

In diesem Zustand ist das “freie Laufenlassen der Zunge” das Schlimmste, was passieren kann. Denn in der “fleischlichen” und emotionalen Verfassung, in der sich die Person befindet, ist es quasi unmöglich, die Zunge zu bändigen. Daher sollte man die ausgeschlossene Person schon allein aus der Fürsorge heraus vor Gesprächen schützen, ehe er/sie noch weitere Sünden begeht. Wir hatten die eindringliche Warnung dazu bereits im letzten Teil:

Spr 6,16-19 Diese sechs hasst der HERR, und sieben sind seiner Seele ein Gräuel: stolze Augen, eine falsche Zunge, Hände, die unschuldiges Blut vergießen, ein Herz, das böse Pläne schmiedet, Füße, die schnell zum Bösen laufen, ein falscher Zeuge, der Lügen ausspricht, und einer, der Zwietracht sät zwischen Brüdern.

Bietet man also jemandem, der ausgeschlossen ist, ein offenes Ohr, ist die Gefahr und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die Zunge der Person sich verselbständigt und so Schaden anrichtet – einmal Schaden bei sich selbst und einmal in der Gemeinschaft. Denn diese Zuhörer können dann (weil sie selbst ja nicht ausgeschlossen sind und somit weiterhin Kontakt zu allen anderen Geschwistern haben) bewusst oder unbewusst andere anstecken.

Klingt vielleicht für den einen oder anderen übertrieben, aber so ein “Lauffeuer der Zunge” kann ganz schnell passieren. Paulus schreibt dazu:

2Tim 2,16-17 Die unheiligen, nichtigen Schwätzereien aber meide; denn sie führen zu nur noch mehr Gottlosigkeit, und das Wort frisst um sich wie ein wucherndes Geschwür …