Mt 5,19-Serie (1Mo 44,18-47,27) – Wenn Brüder gemeinsam weinen

Von Herzen vergeben

Unabhängig davon, dass wir uns selbst und anderen immer vergeben sollen – und zwar von Herzen und nicht einfach, weil wir es im Wort Gottes lesen – ist die Umkehr und Buße des anderen nicht unwichtig. Aber sie ist nicht entscheidend für unsere Vergebung. Den Beleg hierfür sehen wir bei Joseph: Denn ganz offenkundig hatte er seinen Brüdern schon längst in seinem Herzen vergeben. Es brauchte nur noch einen Impuls, sodass sich seine innere Freude in Form von Tränen äußerte:

1Mo 44,33 Und nun, lass doch deinen Knecht anstatt des Knaben bleiben, als Knecht meines Herrn, und der Knabe ziehe hinauf mit seinen Brüdern; [CSV]

Diese Worte sprach Juda. Derselbe Juda, dessen Idee es war, ihn als Sklave an Fremde zu verkaufen. Hier beweist sein Bruder Juda unmissverständlich, Jahrzehnte später, sein bußfertiges Herz, indem er im Austausch für Benjamin sich selbst versklaven lassen will. Daraufhin kann sich Joseph nicht mehr halten:

1Mo 45,1-3 Da konnte Joseph sich nicht mehr bezwingen vor allen, die um ihn standen, und er rief: Lasst jedermann von mir hinausgehen! Und es stand niemand bei ihm, als Joseph sich seinen Brüdern zu erkennen gab. Und er erhob seine Stimme mit Weinen; und die Ägypter hörten es, und das Haus des Pharaos hörte es. Und Joseph sprach zu seinen Brüdern: Ich bin Joseph… [CSV]

Welch eine Szene. Welch eine brüderliche Versöhnung! Es gibt für uns nicht viele Passagen in der Heiligen Schrift, die so viel Brüderlichkeit und Emotion transportieren wie diese Verse. Daher auch unser Titel: “Wenn Brüder gemeinsam weinen”.

Zu diesen Versen fällt uns dann irgendwie auch immer dieser hier ein:

Ps 133,1 … Siehe, wie fein und wie lieblich ist’s, wenn Brüder in Eintracht beisammen sind! [SLT]

Nicht viel in Gottes Schöpfung kann mehr heilsame Kraft freisetzen, als die Versöhnung seiner Kinder miteinander. Daher (und aus vielen anderen Gründen), ist es wichtig, dass wir uns versöhnen und göttliche Versöhnung lernen. Und wenn wir dazu nicht bzw. noch nicht fähig sind, sollten, vielmehr müssen wir Gott um diese Kraft bitten. Und zwar soll diese Kraft in uns so groß werden, dass wir uns bedingungslos versöhnen.

Anders ausgedrückt: Wir vergeben nicht erst dann, wenn wir um Vergebung gebeten werden oder der andere es “in unseren Augen wiedergutgemacht hat” (das ist eine fleischliche Gesinnung), sondern wir sollen generell und grundsätzlich vergeben – von Herzen. Ganz so wie es uns Joseph hier vorlebt und ganz so wie es bei Gott ist:

Eph 4,32 Seid aber gegeneinander freundlich und barmherzig und vergebt einander, gleichwie auch Gott euch vergeben hat in Christus. [SLT]

Gott vergibt uns nicht in Christus in dem Moment, indem wir um Vergebung bitten, sondern seine Vergebung hat er bereits durch den Opfertod seines Sohnes aller Welt bewiesen. Sie liegt sozusagen bereit für alle. Wir müssen sie nur in Anspruch nehmen, indem wir um Vergebung bitten.
Genauso soll auch unsere Vergebung bereit für alle sein, die gegen uns gesündigt haben. Selbst wenn sie es immer und immer wieder tun:

Mt 18,21-22 Dann trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, vergeben? Bis siebenmal? Jesus spricht zu ihm: Nicht bis siebenmal, sage ich dir, sondern bis siebzig mal sieben. [SLT]

Viele von uns kennen diese Verse, aber die wenigsten kennen das Gleichnis, das unser Herr und Meister im Anschluss spricht.

Ehe wir dazu kommen, kurz vorher noch einmal zu den “siebzig mal sieben vergeben“:
Durch unzählige, vielschichtige Umstände und Verletzungen unserer Herzen schaffen viele von uns noch nicht einmal das einmalige Vergeben, geschweige denn “siebzig mal sieben“. Das zeigt uns auf, dass sich unser Herz in diesem Punkt massiv verändern muss. Denn, wenn unser Herz sich v.a. in diesem Punkt nicht verändert und wir nicht vergeben können, dann haben wir ein Problem – und zwar ein sehr großes!

Unser Herr macht uns die Tragweite dieses Problems am Ende seines Gleichnisses (in Mt 18,21-35) klar. Dort sagt er, dass der Knecht, der seinem Mitknecht nicht vergeben hat, den Peinigern überliefert wird. Und wenn wir ebenso unseren Mitknechten nicht vergeben,…

Mt 18,35 So wird auch mein himmlischer Vater euch behandeln, wenn ihr nicht jeder seinem Bruder von Herzen seine Verfehlungen vergebt. [SLT]

Für einige, vielleicht sogar für viele uns, ist es enorm schwierig, zu vergeben. Dies hat, wie bereits erwähnt, sicherlich unzählige, vielschichtige und vor allem auch nachvollziehbare Gründe. Niemand sollte hier einen anderen kritisieren oder gar niedermachen, der noch nicht vergeben kann. Vielmehr sollte man dieser Person durch Gespräche und Gebet helfen.

Jedoch sollten wir dabei eines nicht vergessen: So nachvollziehbar die Gründe für eine “Nicht-Vergebbarkeit” auch sein mögen, ist keines davon in den Augen Gottes ein wahrer Grund dafür, dass wir nicht vergeben sollen. Man denke hierzu erneut an Joseph und was seine Brüder ihm angetan haben!

Wir thematisieren diesen Punkt der Versöhnung immer und immer wieder. Wir reiten regelrecht darauf ‘rum. Warum? Weil es die Heilige Schrift ebenfalls tut:

blankWiederholung wichtiger Punkte ist ein göttliches Prinzip.

So übersehen wir diese Dinge nicht und verstehen automatisch ihre Tragweite und Wichtigkeit. Erst recht, wenn sie mit unter die Haut gehenden Warnungen (also dass uns dann auch nicht vergeben wird) verbunden sind.

Daher die Bitte:
– Gehört man selbst zu denen, die nicht vergeben können: Gehe nicht zu hart ins Gericht mit dir selbst, aber verharmlose dieses Problem auch nicht. Am Ende müssen wir vergeben. So oder so. Da führt kein Weg daran vorbei.
– Und wenn man selbst nicht dazu gehört, aber Brüder oder Schwestern kennt, die mit Unvergebbarkeit zu kämpfen haben: Kämpfe mit ihnen, sprich mit ihnen, bete für sie und weise sie in Sanftmut und Liebe auf dieses wichtige Problem hin.

Tun wir das alles nicht, dann haben wir, wie bereits durch die Worte unseres Erlösers aufgezeigt, ein massives Problem:

Mt 6,14-15 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater euch auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen ihre Verfehlungen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben. [SLT]

V1.1b