INTERN – Der biblische Kalender – Sonne, Mond & Sterne – Der Tagesbeginn

Gestern oder letzte Nacht?

Bei dieser Frage gilt nahezu dasselbe wie zuvor mit dem Morgen und dem morgigen Tag. Hierzu eine anschauliche Stelle, die sehr häufig genannt wird: Die abscheuliche Tat der Töchter Lots:

1Mo 19,32-34 Komm, lass uns unserem Vater Wein zu trinken geben und bei ihm liegen, damit wir von unserem Vater Nachkommen am Leben erhalten. Und sie gaben ihrem Vater in jener Nacht Wein zu trinken, und die Erstgeborene ging hinein und lag bei ihrem Vater; und er wusste weder um ihr Niederlegen noch um ihr Aufstehen. Und es geschah am Morgen, da sprach die Erstgeborene zu der Jüngeren: Siehe, ich habe gestern Nacht bei meinem Vater gelegen; lass uns ihm auch diese Nacht Wein zu trinken geben, und geh hinein, liege bei ihm, damit wir von unserem Vater Nachkommen am Leben erhalten. [CSV]

Hier, im Gegensatz zu dem Abschnitt zuvor, ist es nun nicht mehr so, dass die Zeitpunkte zur Bestimmung ungewiss sind, denn es steht ja geschrieben: “Es geschah am Morgen” und “gestern Nacht“; d.h. der Zeitpunkt, an dem die Aussage getroffen wird, ist nun nicht mehr ungewiss, sondern wird im Text genau geklärt: “Es geschah am Morgen, da sprach die Erstgeborene…“.
Daraus ergibt sich: Der Wechsel von dem einen zum anderen Tag muss irgendwann zwischen der Nacht und dem erwähnten Morgen geschehen sein, sofern – wie es immer gilt – die Übersetzung “Siehe, ich habe gestern Nacht…” korrekt ist.

Der Blick ins Hebräische ist leider ernüchternd, denn die Übersetzung sagt zwar “gestern Nacht”, aber im Hebräischen steht da nichts von “gestern” und von “Nacht”; d.h. dort stehen noch nicht einmal zwei Wörter, sondern nur eines: “emesch”.
Noch einmal anders formuliert: Da stehen nicht die hebräischen Wörter “temol” für “gestern” und “lajil” für “Nacht”, sondern da steht nur ein Wort “emesch”. Und das Wort “emesch” hat keinen direkten Bezug zur Bestimmung des Tages oder anders ausgedrückt: es sagt nichts über ein “Gestern” aus. Das ist auch der Grund warum einige Übersetzungen nicht mit “gestern Nacht”, sondern mit “letzte Nacht” übersetzen. Das würde dann eingesetzt heißen:

“Und es geschah am Morgen, da sprach die Erstgeborene zu der Jüngeren: Siehe, ich habe letzte Nacht bei meinem Vater gelegen;”

Somit wäre jedwede Schlussfolgerung, wann der Tag beginnt, hinfällig, denn die Aussage “letzte Nacht” sagt erst einmal nur, dass es “letzte Nacht” war. Egal ob der Tag mit Sonnenaufgang oder -untergang beginnt. Es war so oder so die “letzte Nacht”.

Anmerkung:
Die Übersetzer haben sich bei ihrer Übersetzungsarbeit sicherlich nicht gedacht, dass wir irgendwann mal daher kommen und anhand eines einzelnen Wortes – welches nur fünf Mal in der Heiligen Schrift vorkommt – den biblischen Tag definieren würden und sie daher genau aufpassen müssen, ob sie das Wort “emesch” mit “gestern Nacht, letzte Nacht, vergangene Nacht” oder was auch immer übersetzen. Wichtig ist, bei aller oft berechtigter Kritik für einige Übersetzungen: Alle Varianten geben erst einmal den Sinn der Stelle wider, egal ob nun mit “gestern, letzte oder vergangene Nacht” übersetzt wird.

Daher sollten wir, die wir uns mit diesem und anderen Themen beschäftigen, unser Verständnis nicht auf einzelnen, und wie in diesem Fall, unklaren Wörtern aufbauen!

Schon allein ein kurzer Blick in die fünf vorkommenden Stellen zeigt einem jeden von uns, der dem Hebräischen nicht in der Fülle mächtig ist, dass das Wort “emesch” keineswegs “gestern Nacht” bedeuten kann, sondern wohl am ehesten auf etwas Bezug nimmt, was “längst oder letztens” geschah oder generell sich auf etwas “Vergangenes”, d.h. auf etwas in der Vergangenheit bezieht. Hierzu einer der fünf Verse:

Hi 30,3 Durch Mangel und Hunger abgezehrt, nagen sie das dürre Land ab, das längst öde und verödet ist; [CSV]

Hinter dem Wort “längst” verbirgt sich dasselbe “emesch” wie bei 1Mo 19,34. Mit dem Verständnis von “gestern Nacht” für “emesch” würde Hi 30,3 wie folgt lauten:

Durch Mangel und Hunger abgezehrt, nagen sie das dürre Land ab, das “gestern Nacht” öde und verödet ist;