Der biblische Kalender – Sonne, Mond & Sterne –
Der Tagesbeginn

Das Passah und der Auszug aus Ägypten

Beim Auszug und dem damit verbundenen Passah haben wir den großen Vorteil, dass für uns die damals geschehenen Ereignisse einen ganz genauen Zeitstempel bekommen, d.h. wir erfahren in der Torah, wann genau was geschehen ist. So z.B. hier:

2Mo 12,6 Und ihr sollt es [Anm.: das Lamm] in Verwahrung haben bis zum vierzehnten Tag dieses Monats. Und die ganze Versammlung der Gemeinde Israel soll es schlachten zwischen den zwei Abenden.

Die aus dem Hebräischen sehr genau übersetzte Formulierung zwischen den zwei Abenden mag etwas seltsam für uns klingen, aber sie beschreibt etwas sehr Wichtiges, wozu wir gleich noch kommen werden. Hier zuerst einmal eine Parallelstelle, die diese etwas seltsame Formulierung für uns klarer und leichter verständlich macht:

5Mo 16,6 An dem Ort, den der HERR, dein Gott, erwählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen, dort sollst du das Passah schlachten, am Abend, beim Untergang der Sonne

Mit  2Mo 12,6  und diesem Vers hier haben wir unsere erste zeitliche Markierung gefunden: zum vierzehnten Tag … beim Untergang der Sonne …”. 

Der nächste genau angegebene Zeitpunkt ist Folgender:

2Mo 12,8 Und sie sollen in dieser Nacht das Fleisch essen, gebraten am Feuer, und ungesäuertes Brot; mit Bitterem sollen sie es essen.

Hier kommen zwei neue Informationen dazu, die es uns einfacher machen, das Ganze zeitlich richtig zu verstehen: Das Fleisch soll in der Nacht gegessen werden. Und es soll mit Ungesäuertem und Bitterem gegessen werden.

Wieso mit Ungesäuertem und Bitterem? Weil das Passah unmittelbar mit dem Fest der Ungesäuerten Brote zusammenhängt. Es gibt viele Stellen in der Heiligen Schrift, die diesen Zusammenhang belegen, aber wir bleiben erst einmal im 12. Kapitel von 2. Mose, denn da haben wir weitere “zeitliche Angaben”, die uns helfen werden:

2Mo 12,18-19 Im ersten Monat, am 14. Tag des Monats, am Abend, sollt ihr Ungesäuertes essen bis zum 21. Tag des Monats, am Abend. Sieben Tage soll kein Sauerteig in euren Häusern gefunden werden …

Wer genau aufgepasst und vielleicht sogar nachgerechnet hat, wird hier ein Problem feststellen: Vom 14. bis 21. sind es nicht sieben, sondern acht Tage. Da dieser vermeintliche Widerspruch für unser Thema so wichtig ist, lasst uns das kurz zusammen durchgehen, denn man könnte schnell meinen, dass es vom 14. bis 21. tatsächlich sieben Tage sind, weil einige vielleicht “21-14=7” rechnen:

  • 14. = 1. Tag
  • 15. = 2. Tag
  • 16. = 3. Tag
  • 17. = 4. Tag
  • 18. = 5. Tag
  • 19. = 6. Tag
  • 20. = 7. Tag
  • 21. = 8. Tag

Das gecheckt, drängt sich nun die Frage auf: “Aber wie können das denn acht Tage sein, wenn der Text doch sagt …”:

2Mo 12,15 Sieben Tage lang sollt ihr ungesäuertes Brot essen …

Was ist nun richtig? Sieben oder acht? Wieso steht einmal geschrieben, dass wir vom 14. bis 21. Ungesäuertes essen sollen (was ausgerechnet eben acht Tage wären) und an einer anderen Stelle nur sieben Tage? Wie kann man diesen vermeintlichen Widerspruch auflösen?

Eigentlich sehr einfach! Aber da wir ein Leben lang mit einer weltlichen und nicht biblischen Denkweise rund um das Verständnis vom Tagesbeginn aufgewachsen sind, ist das Ganze ein wenig fremd für uns. Wir müssen also umdenken (egal ob nun der Tag mit Sonnenaufgang oder – untergang beginnt). Und was uns beim Umdenken und Verstehen des biblischen Tagesbeginns helfen wird, ist die Gleichsetzung der zeitlichen Angaben, die wir zuvor gelesen hatten:

zwischen den zwei Abenden (2Mo 12,6) = beim Untergang der Sonne (5Mo 16,6)

Diese Gleichsetzung ist für uns deshalb so hilfreich, weil sie ein für uns fremdes hebräisches Verständnis (also das “zwischen den zwei Abenden”) mit einem Ereignis verbindet, das uns überhaupt nicht fremd ist, nämlich dem Untergang der Sonne. Zu diesem Zeitpunkt passiert also etwas, was zwei Abende miteinander verbindet. 

Uns muss in diesem Zusammenhang klar werden, dass das biblische Verständnis des Abends nicht wie unser weltliches Verständnis ist, bei dem der Zeiger auf unseren Uhren in dem einen Moment 23:59:59 anzeigt und direkt im nächsten Augenblick, also um 0.00 Uhr, dann schlagartig der nächste Tag beginnt. Nein, sondern das biblische Zeitverständnis des Abends beschreibt eine Zeitspanne, in der das eine in das andere übergeht.

Auch das hebräische Wort für “Abend” (also “erev”) gibt dieses “ineinander Übergehen” im Verständnis des Wortes an sich wieder, denn es bedeutet so viel wie “sich vermengen, vermischen”. Es vermengen sich am Abend also zwei Dinge miteinander. Dieses “miteinander vermengen” sehen wir auch in der Schöpfung selbst. Was meinen wir damit?
Wenn wir den Himmel beobachten, sehen wir, dass für uns am Abend und am Morgen kein Lichtschalter umgelegt wird, sodass es von dem einen Moment zum anderen dunkel oder hell wird, sondern die hellen und dunklen Phasen des Tages gehen langsam ineinander über. Die beiden Phasen vermengen sich. Sie sind somit nicht klar voneinander trennbar, wie es eben bei unserem weltlichen Verständnis des Tages ist, wo es schlagartig 0.00 Uhr wird.

Anders ausgedrückt: Es gibt keine klare Trennung zwischen dem einen und dem anderen Tag, sondern die biblischen Tage gehen ineinander über (völlig egal, ob nun der Tag mit Sonnenaufgang oder -untergang beginnt). Die Phase, bei der der eine Tag in den anderen übergeht, ist fließend und nicht abrupt. Das heißt, völlig egal, ob der Tag jetzt am Morgen oder am Abend beginnt, die Zeitspanne beim Sonnenuntergang oder -aufgang ist im hebräischen Verständnis immer Bestandteil von zwei Tagen. Das ist ganz, ganz wichtig zu verstehen!

Daher möchten wir es noch einmal wiederholen und es bildlich veranschaulichen:
Beginnt der biblische Tag mit dem Morgen, so ist die Phase des Sonnenaufgangs immer Bestandteil von zwei Tagen; d.h., Tag A kann man nicht klar von Tag B trennen. Hier als Skizze veranschaulicht:

Genauso ist es natürlich auch beim Beginn des biblischen Tages am Abend.
Dann ist beim Untergang der Sonne Tag A auch immer Bestandteil von Tag B:

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Man kann anhand dieser Veranschaulichungen sehen, dass (egal welches Verständnis des Tagesbeginns man auch hat) die ineinander übergehenden Phasen der Tage nicht klar voneinander getrennt werden können, sondern immer ein Bestandteil beider Tage sind. Die Tage gehen, wie zuvor erwähnt, ineinander über. Sie vermengen sich.

Nun lasst uns dieses biblische Verständnis des Tagesbeginns in den vermeintlichen Widerspruch der sieben oder acht Tage Ungesäuerte Brote einsetzen. Und zwar einmal mit der Möglichkeit, dass der Tag mit Sonnenaufgang beginnt und einmal mit Sonnenuntergang:
Wir hatten ja gelesen, dass das Lamm zur Abendzeit geschlachtet und dann mit Ungesäuertem und Bitterem gegessen werden soll. Sollte der biblische Tag mit dem Morgen beginnen, dann war der ganze Abend und die Nacht immer noch der 14.01., wo sie Ungesäuertes gegessen haben. Dann ging die Sonne auf, es wurde der 15.01.; dann immer so weiter bis zum 21.01. Zählen wir nun wieder die Tage nach, dann landen wir (wie zuvor ausgerechnet) bei acht und nicht sieben Tagen, an denen sie Ungesäuertes gegessen haben. Aber es heißt ja eben:

2Mo 12,15 Sieben Tage lang sollt ihr ungesäuertes Brot essen …

Das heißt: Mit dem Tagesbeginn am Morgen hätten wir hier einen Widerspruch (!), da eben vom 14.01. bis 21.01 es acht – und nicht wie es der Text sagt – sieben Tage wären.

Jetzt noch die zweite Möglichkeit, dass der Tag am Abend beginnt:
Sie schlachten und essen das Passah beim Untergang der Sonne und essen es in die Nacht hinein. Das heißt, in den letzten Momenten des 14.01. wird das Lamm geschlachtet und zu Beginn des 15.01. wird es gegessen:

5Mo 16,6 … du sollst das Passah schlachten, am Abend, beim Untergang der Sonne … + 2Mo 12,8 Und sie sollen in dieser Nacht das Fleisch essen …

Wenn man jetzt nachzählt, kommt man vom 15.01., der eben beim Untergang der Sonne begann, bis zum 21.01. nicht auf acht, sondern eben genau auf die von Gott vorgegebenen sieben Tage.
In anderen Worten: Sie schlachteten und aßen das Passah zur Abendzeit am Ende des 14.01., als der Tag zuende ging. Diese Phase beim Untergang der Sonne ist aber wiederum gleichzeitig der Beginn des 15.01. Sie aßen also das Passah in den 15.01. und somit in den 1. Tag der Ungesäuerten Brote hinein. Somit hätten wir dann vom 15.01. bis zum 21.01. das Fest der Ungesäuerten Brote und somit dann auch die angegebenen sieben Tage:

3Mo 23,6 Und am fünfzehnten Tag desselben Monats ist das Fest der ungesäuerten Brote für den HERRN. Da sollt ihr sieben Tage lang ungesäuertes Brot essen.

Mit diesem Verständnis gibt es keinerlei Widerspruch mehr.
Er löst sich auf.

Und das Sahnehäubchen von allem ist, dass mit diesem Verständnis jetzt die zwei Punkte, die wir zuvor betrachtet hatten, total Sinn ergeben. Nämlich, dass das Wort “erev” im hebräischen das Verständnis der “Vermengung” vermittelt. Und was vermengt sich da miteinander? Na der eine Tag mit dem anderen.

Und als zweites Sahnehäubchen wird klar, was genau das zwischen den Abenden (aus  2Mo 12,6) eigentlich aussagt. Nämlich, dass beim Untergang der Sonne es zwei Abende gibt: der Abend des endenden Tages und gleichzeitig auch der Abend des nächsten Tages. Es ist also die Phase, wo der eine Tag sich mit dem nächsten Tag vermengt. Noch einmal die Skizze dazu, die man jetzt sicherlich besser nachvollziehen kann:

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